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Die 00er Jahre: Die vergessendsten Alben des Jahrzehnts II

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Dieses mal mit Mash-Up-Pop aus Pennsylvania, New Yorker Electroclash, japanischem Anti-Folk, entspanntem Indie-Jazzrock, vertracktem Mathrock, deutscher Kabarettkunst, Lo-Fi-Americana-Sound, Melodic Death Metal aus Göteborg, kanadischem Progressive Metal und komplex, minimalistischen Electronica.

 

 

Girl Talk – Night Ripper

(2006)

Gregg Michael Gillis Projekt Girl Talk ist Mash Up Pop der feinsten Sorte. Gillis nimmt was die Musikgeschichte hergibt und mixt es einmal durch den Fleischwolf. Auf einem Beat und Hip Hop Fundament samplet er alles was ihm unter die Finger kommt. So dürfen auf dem Album The Verve ebenso erklingen wie Jefferson Airplane, Neutral Milk Hotel, Oasis oder Phil Collins. Gescratcht, geloopt und zu wahnwitzigen Songcollagen zusammen geschnippelt. Das ist total überladen, konfus, inkosistent und macht einen höllischen Spaß. Über 10 verbastelte Songs lassen sich jeweils aus den knappen Zweiminütern herausfiltern, die damit nicht nur überdrehte Mosaiktafeln sondern auch perfekte musikalische Rätsel und Abenteuerspielplätze sind. Selbst DJ Shadow – der wohl zum unantastbaren Aushängeschild für Mash Up geworden ist – wirkt gegen Girl Talk nur wie ein braver Origamibastler.

 

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Karate – Some Boots

(2002)

Some Boots von Karate wurde 2002 von den Kritikern nur mit einem halbinteressierten Schulterzucken wahrgenommen. Eine Ungerechtigkeit erster Güte. Immerhin versorgt die Band seit mittlerweile über 10 Jahren  die Welt mit ihrem herrlich entspannten, verjazzten Indierock. Besonders auf ihren späteren Alben verzaubern sie mit einem Wechselspiel von eingängigen Hooklines und verspieltem Klanggefrickel. Das klingt sowohl komplex als auch zurückgelehnt, nostalgisch und trotzdem zeitgemäß. Leicht aber dennoch berührend. Vielleicht eine der am meisten unterschätzten Bands der letzten Dekade.

 

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31Knots – A world is also a picture of a world /                  It was  high time to escape

(2002 / 2003)

31Knots haben sich in der letzten Dekade zum Aushängeschild des noch frischen Mathrock entwickelt. Mathrock, das bedeutet komplexe, vertrackte Alternativerocksongs, die ihre Abstammung von Punk, Core und Grunge nicht verleugnen und gleichzeitig Richtung Progressive und Postrock schielen. Die Alben der Band aus Portland klingen schräg und komplex, staubig und verwinkelt, fragmentarisch und durchplant. Einfache Poprhythmen werden mit präziser Klinge skalpiert und neu zusammengesetzt, wodurch vielseitige, oft disharmonische Songs entstehen, die in ihrer kalkulierten, emotionslosen Rhythmik fast unmusikalisch wirken. Mathrock ist Dekonstruktion der Musik schlechthin und klingt dadurch unglaublich frisch, ausgebufft und zynisch. Trotzdem bleiben 31knots bodenständig, flirten immer wieder mit melodischen Popmomenten, nur um diese kurz darauf lustvoll zu zerstören. Die Leidenschaft steckt hier nicht in der Melodie sondern in der Zerstörung derselben, klassische Harmonie wird auf die Probe gestellt und damit von jedem Korsett befreit, das sie an ihrer freien Entfaltung hindert. 31knots sind nicht zuletzt die Botschafter einer Musik, die keine Musik sein will und gerade dadurch der Vertonung des Geistes ganz neue Wege aufzeigt. Besonders die letzten Alben der Band haben sich dadurch zu echten Geheimtipps in der Musikszene entwickelt. Dabei werden ihre ersten Aufnahmen allzu leicht vergessen. Während “Talk like blood” oder “Worried well” heftig mit dem Pop flirten, geben sich die Vorgänger äußerst spröde und widerspenstig. Vielleicht nicht ganz so harmonisch und ausgereift wie die erfolgreichen Nachfolger, aber allemal rauer, vertrackter und urwüchsiger.

 

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Devin Townsend – Terria

(2001)

In der zweiten Jahrzehnthälfte hat Devin Townsend durch das durchgeknallte Ziltoid the Omniscient sowie den ersten Teil einer geplanten Tetralogie Ki wieder von sich Reden gemacht. Sein wahres Meisterwerk der 00er Jahre reicht aber weiter zurück als die jüngsten Veröffentlichungen. Fernab seiner Stammband Strapping young Lad erprobte der irre Kanadier sich seit den ausgehenden 90ern als Solokünstler an einer satten Mischung aus Progressive Rock, Speed Metal, Industrial und Ambiente. Den Höhepunkt dieses Schöpfungsprozesses stellt das Opus Magnum Terria dar: Epische Hymnen, in denen Gewehrfeuersalven in meditative Landschaften einschlagen, skurrile Anti-Folk-Kobolde und monumentale Soundberge. Und dazwischen auch einfach mal ein gebrülltes “It’s just entertainment Folks!” Eine wahnwitzige Achterbahnfahrt durch ruhige Ambientehöhlen und über reißende Progmetal-Flüsse.

 

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The mountain goats – The Coroner’s Gambit

(2000)

Man kann John Darnielle nur gratulieren. Nachdem der Songwriter und Kopf der Mountain Goats Jahrelang auf kleinen Labels für einen Hungerlohn veröffentlichte, gelang es ihm 2002 schließlich von 4AD unter Vertrag genommen zu werden. Seitdem hat er stetigen Rückenwind und ist mittlerweile gar in den US-Albencharts angekommen. Dieser Erfolg ist mehr als verdient, insbesondere da auch seine jüngsten Alben immer noch wunderschön Folk- und Lo-Fi-Pop zu bieten haben. Trotzdem soll an dieser Stelle eine Produktion hervorgehoben werden, die sich noch jenseits des Big Business abgespielt hat. The Coroner’s Gambit funktioniert auch ohne teure Produktion und ist ein wahres Lo-Fi-Juwel: Kratzbürstig, melancholisch, minimalistisch. Kongeniale Lyrics, nachdenkliche Songwriter-Balladen, schrammeliger Indierock und emotionaler Anti-Folk. Eine herrlicher, ungeschliffener Rohdiamant, der angesichts der Erfolge “Get Lonely” und “The sunset Tree” leider etwas in Vergessenheit geraten ist.

 

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Rainald Grebe – Das Abschiedskonzert

(2004)

Rainald Grebe, Meister der Kombination aus sarkastischem Humor, surreal pythonesker Lyrik und melancholischen Zwischentönen hat 2004 leider sein Abschiedskonzert gegeben. Seitdem ist er nicht mehr Solo unterwegs sondern mit der Kapelle der Versöhnung. Auch wenn die daraus resultierenden Veröffentlichungen wie “Volksmusik” immer noch den grandiosen Grebe-Humor erkennen lassen, so ist Chansoner ganz allein immer noch unschlagbar. Ein Mann, ein Klavier und das wars auch schon. Rainald Grebe betört sein Publikum mit einer gekonnten Mischung aus Genie und Wahnsinn: Tragikomische Kabarettstücke, bösartige Satiren, wahnwitzige Dilletantismen und hintergründige Geschichten stehen gleichberechtigt nebeneinander, amüsieren, berühren und pieksen immer wieder an den genau richtigen Stellen zu. Das auf 2 CDs gebannte “Abschiedskonzert” ist nach wie vor der Höhepunkt im Schaffen Grebes und darüber hinaus ein beeindruckendes Zeugnis deutscher Kabarettkunst.

 

 

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In Flames – Clayman

(2000)

Eine Zeit lang galt der Göteborgsound als der heißeste Scheiß der Metal-Szene. Knallharte Deathmetal-Riffs treffen auf tief gestimmte Bassläufe und auf hymnische, epische Melodien. Durch ihre Öffnung hin zu diversen modernen Rock- und Metalstilarten haben es die Skandinavier zur Meisterschaft in diesem Genre gebracht. Sie erweiterten ihren harten Death Metal um melodische und harmonische Elemente und verziehrten das Ganze mit komplexen, philosophischen Lyrics, die sich wohltuend vom Standard der Deathmetalsongtexte (Sex, Tod, Verwesung etc…) abheben. Mittlerweile ist es zwar ziemlich ruhig um die Band und die gesamte Göteborgriege geworden, das ändert aber nichts daran, dass Clayman nach wie vor eines der besten Metal-Alben des Jahrzehnts ist; trotz oder gerade wegen des Verrats am ursprünglich puristischen Genre.

 

 

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Kazuki Tomokawa – Itsuka Toku o Miteita

(2004)

Kazuki Tomokawa ist ein japanischer Songwriter, der in Europa und den USA leider noch keine große Aufmerksamkeit genießt.  Er wird in seinem Heimatland auch der schreiende Philosoph genannt, eine Beschreibung seines musikalischen Stils, wie sie besser nicht sein könnte. Tomkawa spielt einen höchst intelligenten Antifolk, der sich zwischen Nachdenklichkeit, Melancholie und Zorn bewegt. Und es ist einfach unglaublich, was er in diesen Stücken mit seiner Stimme anstellt. Diese wechselt von harmonischem Gesang zu Gekeife, Geschreie, krächzigen Kehlkopflauten, Flüstern, undefinierbaren Geräuschen, die direkt aus den Tiefen der Seele zu kommen scheinen und wieder zurück. Auf den neueren Alben wird er dabei auch öfter von elegischen orchestralen Klängen begleitet, die dem kratzbürstigen, ungewöhnlichen Folksound eine faszinierende, fast schon sakrale Ausdruckskraft verleihen.

 

 

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Mirwais – Production

(2000)

Madonna überraschte wohl jeden als sie 1998 mit Ambient-Producer William Orbit gemeinsame Sache und den Abwärtstrend ihrer Karriere Einhalt gebot. Nachdem Ray of Light der Queen of Pop ein glänzendes Comeback bescherte war die Überraschung beim Nachfolger nicht geringer, als sie den bis dahin unbekannten Franzosen Mirvais für ihr Album “Music” holte. Im Zuge des Wirbels um das neue Madonna Album veröffentliche er sein Album “Production”, welches ebenso minimalistisch war und durch das reduzierte Soundgerüst eher an Kraftwerk als an die Pariser House Kollegen erinnerte.

 

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Fischerspooner – Odyssey

(2005)

Das New Yorker Kollektiv Fischerspooner war 2000 mit dem Hit Emerge ganz weit vorne und konnte sich an die Spitze der Eletroclash Bewegung setzen. Leider konnte das Debutalbum nicht durchgängig das Niveau dieser Jahrzentsingle halten und wirkte seltsam unausgereift. Für Odyssey nahmen sich Casey Spooner und Warren Fischer mehr Zeit und schafften einen großartigen Nachfolger, der kein zweites Emerge war, aber dafür keinerlei Ausfälle zu verzeichnen hatte und sehr homogen wirkte. Da Electroclash eh schon am Ende war wurden die Arrangements größer und Fischerspooner öffneten sich dem Pop. Nette Zitate, wie der Song Circle, der den Anfang und das Ende des Abums markiert zeugen von einem großen Pop-Verständnis und lassen das Album auch fast 6 Jahre später nicht langweilig erscheinen.

 

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